Semmelweis

März 2020 / Lou Scheurmann

 

Noch nie gehört? Gut möglich, verständlich und auch nicht verwerflich!

 

Ein Blick in Wikipedia gibt Auskunft über Ignaz Semmelweis. Dorthin gelangt man natürlich nur, wenn man den Namen schon kennt oder sich tatsächlich, etwas tiefgründiger mit Hygiene und Medizingeschichte beschäftigt. weiterlesen

 

Ignaz Philipp Semmelweis lebte von 1818 bis 1865 im Königreich Ungarn / Kaisertum Österreich und starb in Wien. Er studierte Medizin an der Universität in Pest und doktorierte in Wien.


Semmelweis erkannte empirisch, dass Händewaschen ganz elementar zur Verhinderung von Infektionen beiträgt, insbesondere bei Geburten. Mit dieser Erkenntnis und der Umsetzung derer, konnte die Fälle von Kindbettfieber zu fünfzig Prozent reduzieren. Das heisst, wenn es ohne Händewaschen bei 30% der Geburten zu tödlichen Infektionen kam, waren es mit gewaschenen Händen «nur» noch 15%.


Wir wissen nicht, wie das Leben und der Alltag um 1850 wirklich waren. Vieles ist dokumentiert, den eigentlichen Zeitgeist zu fühlen jedoch fast unmöglich.


Semmelweis hatte eine grossartige Erkenntnis, in der Umsetzung sehr einfach und durchaus praktikabel, wenn auch noch kein fliessendes, sauberes Wasser wie selbstverständlich in jeden noch so einfachen Haushalt sprudelte.
Aber Semmelweis ritzte mit seiner Erkenntnis das Ehrgefühl der damals unantastbaren Doctoren, Ärzten, Heilern und Kirchenoberhäuptern. Diese befanden Händewaschen als «groben Unfug», da es schlicht nicht sein durfte, dass sie, als gebildete bis geläuterte Gelehrte dreckige Hände haben sollten! Dreckige Hände hatte – so quasi - nur der Pöbel, der Mob und die des Lesens Unkundigen.


So kam es, dass man Semmelweis in die Psychiatrie einwies, wo er ein paar Jahre später unter nie geklärten Umständen verstarb.


Semmelweis hatte recht. Gilt er heute als Begründer der Hygiene und ist somit einigermassen rehabilitiert, staune ich darüber, dass seine Lehre auch 150 Jahren nach seinem Tod nicht wirklich in der Gesellschaft und unserem gewöhnlichen Leben angekommen ist.


Im Jahr 2020, auch ausgelöst durch Corona – ja das Virus kann auch Gutes auslösen, da bin ich ganz sicher –, sind zwei Gedankenkreise, die mich seit meiner ersten Begegnung mit Semmelweis begleiten, wieder an die Oberfläche gekommen:


Während der insgesamt dreissig Jahre mit täglichem Kundenkontakt, wurde ich nie angesteckt. Dies weil ich spätestens in der Gewerbeschule Herrn Semmelweis’ Erkenntnisse lernte und mir aneignete. Während der zwanzig Jahre, in denen ich Perlen und Schmuck verkaufte, lernte ich beispielsweise Putzfrauen aus dem nahen Kantonsspital kennen, die mir stolz berichteten, dass das Tragen von Armbändern während der Arbeit strengstens verboten sei, sie aber, kaum sei die Chefin weg, die Armbänder sogleich wieder anzögen. Ich hatte junges medizinisches Personal, das am ledernen oder textilen Stoffarmbändchen partout keinen Verschluss wollte, da sie es immer trügen … Ich riet ihnen ab, versuchte zu erklären und stiess auf Unverständnis und taube Ohren. Ohne es zu sagen, nannte ich sie in meinen Gedanken «Mörder».


Corona – ist eigentlich eher eine Mimose unter den Mikroorganismen, die sich in unser Leben einmischen. Ich will seine Gefährlichkeit mit dieser Aussage keineswegs in Abrede stellen!  Aber Corona nimmt lieber den Flug mittels Spucke, als mühsam und langsam per Armband zu reisen. Corona hat einen verhältnismässig empfindlichen Fettschutzmantel, also ist Seife bereits Feind!  Hingegen ist beispielsweise der «Spitalkeim», ebenso wie diverse andere Mikroorganismen, viel robuster und überlebensfähiger und trampt ganz gern per Fingerring oder Armband zu seiner Wunschdestination.


Wir haben immer dreckige Hände und das ist fast immer auch richtig so: Wir müssen auch Antikörper bilden und – wichtig – eine ganze Anzahl der mit blossem Auge unsichtbaren Mitbewohner sind nützlich und dienen unserer Gesundheit! Aber wir müssen vor diesem, uns noch weitgehend unbekannten Mikrokosmos Respekt haben und das, was Semmelweis erkannt hat, mit Verantwortung und Verstand anwenden!

«Es ist nicht, weil es nicht sein darf!»


Die Gelehrten zur Zeit von Semmelweis fühlten sich in ihrer Ehre angegriffen, als er ihnen sagte, sie sollen sich die Pfoten waschen!
Es gibt den Begriff «Semmelweis-Reflex» (auch das in Wikipedia nachzulesen, wenn die Bibliothek geschlossen ist), der genau diesen Sachverhalt definiert: Weil man «es sich nicht vorstellen kann», weil man «sich angegriffen oder in der Ehre verletzt» fühlt, negiert man eine Erkenntnis, eine Tatsache, und der Entdecker wird als geisteskrank  - oder je nach dem auch als Lügner - eingestuft. Der Zeitgeist, die Mode richtet darüber, was sein darf, vielleicht auch was sein muss.


Wir blicken mit dem (Wohlstands-)Blick des Jahres 2020 auf die aktuellen Geschehnisse, müssen wir ja fast. Aber es stünde uns zu, das eine oder andere Dogma, das eine oder andere Paradigma zu hinterfragen. Uns zu fragen, was wir für eine «Show» abziehen! (Ich meine damit nicht die behördlich angeordneten Verhaltensregeln!)


Wir wollen glauben, dass Gesundheit inklusive intakte Umwelt käuflich ist, die Medizin alles kann und wir ein Recht auf ewiges, dynamisches Leben haben. Wir glauben dies, weil uns dies angeboten wird, vorgegaukelt.


Wir (über-)bilden unsere Kinder und Jugendlichen fast international gleichgerichtet und ich vermute deshalb «Bildungsnischen», um nicht zu sagen fatale Bildungslücken. Wir fressen den Wissenschaftlern aus den (dreckigen) Händen, vor allem den lauten und geschniegelten, ein paar «Ketzer» machen wir mundtot. Wir fliegen zum Mond – wozu auch immer -, aber den Kreis können wir noch immer nicht ohne letzte Kommastelle berechnen und unsere Uhr müssen wir gelegentlich mit einer Schalteinheit wieder ins «Zentrum» bringen. Könnte es sein, dass wir ganz Elementares einfach noch nicht erfasst haben?


So sollte wenigstens «Entschuldigung, das weiss ich nicht» auch für hochdekorierte Experten jeglichen Faches eine mögliche, akzeptierte Aussage sein dürfen und sie sollten sie unbedingt anwenden, wenn es der Tatsache entspricht.